Project Description
Die Bilder zeigen keine realen Orte, sondern eine geistige Landschaft, die sich aus verschiedenen Elementen zusammensetzt. Sie sind Capriccios, also Fantasie-Ansichten, die Architektur und Natur verbinden. Die Farbe Sepia verleiht ihnen einen Hauch von Nostalgie und Melancholie, aber auch von Eleganz und Raffinesse.
Slava Seidels Bilder vermitteln den Eindruck einer Welt, die ins Wanken geraten ist und sich in einem Zustand des heftigen Umbruchs befindet. Verschiedene Architekturelemente aus unterschiedlichen Epochen und mit diversen Funktionen verbinden sich und werden in einem bedrohlich wirkenden Strudel zusammengeworfen. In manchen Werken gesellen sich Palmen hinzu, die von einem heftigen Wind erfasst werden, oder gewaltige Wasserstrudel dringen ins Bildinnere vor und umspülen die Architektur. Assoziationen an Tsunamis werden wachgerufen; nichts scheint mehr auf festem Boden zu stehen. Die einst statischen Gebäude werden mobil, geraten aus den Fugen. Vereinzelt tauchen Tiere auf, wie ein Pferd oder ein Elefant, und auch menschliche Silhouetten werden in die Szenerien integriert. Doch nichts scheint wirklich zusammenzupassen.
Die Künstlerin entwirft Schreckensszenarien, die so virtuos und surreal gestaltet sind, dass sie nicht mehr bedrohlich, sondern vielmehr faszinierend wirken. Es ist die Ästhetik des Schreckens, der Voyeurismus gegenüber Gefahren, die Lust am Horrorszenario, die Seidel geschickt einsetzt, um auf subtile Weise zu mahnen, ohne dabei den moralischen Zeigefinger zu erheben.
Ihre Gemälde sind ausschließlich in Sepia-Tusche auf Leinwand gehalten, was ihnen den Anschein von Vergangenem verleiht, ähnlich den frühen, hellbraunen Fotografien. Trotz des dargestellten Schreckens mildert die Farbgebung diesen ab, taucht ihn in die Vergangenheit und vermittelt das Gefühl, das Geschehen liege lange zurück. So werden die Szenen aus unserer Gegenwart in eine ferne Zeit gerückt, was beruhigend wirkt und die Bedrohlichkeit der Bilder entschärft. Faszinierend ist, wie sich die dargestellten Inhalte mit der Malweise verbinden und zu neuen Aussagen führen.
Slava Seidels Kunst zeugt von einer außergewöhnlichen Phantasie und Vorstellungskraft. In ihren Arbeiten wird eine Vorliebe für barocke, theatralische Rauminszenierungen und Illusionen deutlich. Der kunsthistorische Begriff „Capriccio“ drängt sich geradezu als Beschreibung für Seidels Werke auf. Dieser Begriff, der erstmals im Barock verwendet wurde, beschreibt eine Serie von druckgraphischen Blättern, die improvisierte Szenen ohne programmatische Bindung zeigen und von einem Bildgegenstand zum nächsten übergehen, ohne sich einer festen Ordnung zu unterwerfen. Er steht für den absichtlichen, lustvollen Regelverstoß und die phantasievolle, spielerische Überschreitung akademischer Normen, ohne diese jedoch aufzuheben. Die Künstlerin bringt dieses Phänomen mit ihren phantasievollen Werken auf meisterhafte Weise in die Gegenwart.
Slava Seidel studierte von 2002 bis 2008 an der Städelschule, der Hochschule für Bildende Künste in Frankfurt am Main, bei Christa Näher und wurde zu deren Meisterschülerin. Zahlreiche Stipendien, Auszeichnungen und Ausstellungen folgten.